Drei Vorranggebiete für Windenergie im Bodenseekreis


Rund 350 Interessierte kamen zur Dialogveranstaltung des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben am 24. Januar in den Sennhof nach Heiligenberg.


Heiligenberg – Auch im Bodenseekreis gibt es Befürworter und Gegner, wenn es um Wind- und Sonnenenergie geht. Dass auf beiden Seiten Informationsinteresse besteht, zeigte die große Resonanz bei der Dialogveranstaltung „Räume suchen – Gebiete finden“ des Regionalverbands (RVBO) am 24. Januar im Sennhof in Heiligenberg. Rund 350 Interessierte aus dem ganzen Bodenseekreis kamen, um sich über drei Vorranggebiete für Windenergie und 39 Vorbehaltsgebiete für Freiflächenphotovoltaik auf der Gemarkung des Landkreises Bodenseekreis zu informieren.
Der Regionalverband habe von der Politik den Auftrag erhalten, in der Region Bodensee-Oberschwaben geeignete Gebiete für Windenergieanlagen und Freiflächenphotovoltaik zu finden, sagte Thomas Kugler, Vorsitzender des Regionalverbands, bei der Begrüßung. Diese Gebiete sind Teil des Offenlageentwurfs zum Teilregionalplan Energie. Ab 29. Januar können Bürgerinnen und Bürger innerhalb einer zweimonatigen Anhörungsfrist Stellungnahmen zu diesen Flächen abgeben.
Die Landesregierung hat mit dem Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg 2023 beschlossen, dass bis Ende 2025 mindestens 2 Prozent der gesamten Regionsfläche mit den drei Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis für den Ausbau von Windenergie und Flächenphotovoltaik bereitgestellt werden müssen – 1,8 Prozent für Wind, 0,2 für Solar. Man wolle mit der Dialogveranstaltung keine Gegner als Befürworter gewinnen, sondern Sachinformationen liefern und Transparenz schaffen, so Kugler. Die Gemeinde Heiligenberg unterstütze die Errichtung und den Betrieb von Freiflächenphotovoltaikanlagen, sagte Bürgermeister Denis Lehmann. Der Gemeinderat habe bereits vor einem Jahr die Kriterien und Voraussetzungen zur Einleitung von baurechtlichen Verfahren und zur Errichtung solcher Anlagen beschlossen. Der Regionalverband unterstütze einen wichtigen Prozess in Sachen Energiewende und schaffe mit seiner detaillierten Flächensuche Planungssicherheit, lobte Landrat Luca Wilhelm Prayon. „Wir können die Zukunft gemeinsam in die Hand nehmen.“

Fachvorträge Wind und Photovoltaik
Wie und wo die potenziellen Flächen ausgewählt wurden, erläuterten Verbandsdirektor Wolfgang Heine und seine Stellvertreterin Nadine Kießling in ihren Fachvorträgen. Das Thema sei komplex und erklärungsbedürftig, so Heine. Parallel zu der Aufgabe, aus verschiedenen Prozessen fossiler Energieerzeugung auszusteigen und Kraftwerke vom Netz zu nehmen, steige der Strombedarf stetig. Bis 2030 sei Prognosen zufolge ein jährlicher Wind-an-Land-Zubau von fast 8 Gigawatt – bislang maximal 5 Gigawatt – sowie ein jährlicher Photovoltaik-Zubau von fast 20 Gigawatt erforderlich, um den anfallenden Mehrbedarf an Strom decken zu können. Die Landesregierung wolle daher mehr Verbindlichkeit und eine Beschleunigung des Ausbaus. Das Flächenziel von 1,8 Prozent für Windenergieanlagen in Baden-Württemberg entspreche in etwa der Summe an allen in der Region bestehenden Gewerbeflächen. „Jede Region muss liefern“, so der Verbandsdirektor. Bis Ende September 2025 muss die Verbandsversammlung den Teilregionalplan Energie beschlossen haben. Sollte das Planungsziel von 1,8 Prozent Wind und 0,2 Prozent Solar nicht fristgerecht gelingen, greife beim Wind der Paragraf 249 Baugesetzbuch mit der sogenannten Super-Privilegierung, warnte Verbandsdirektor Wolfgang Heine. Dies würde sowohl regional als auch kommunal den Verlust jeglicher räumlicher Steuerungsoption bedeuten. „Dann besteht die Gefahr eines Wildwuchses, an dem niemand Interesse haben kann.“ Könne man Flächenziele und Fristen hingegen einhalten, seien praktisch keine Windanlagen außerhalb der Vorranggebiete möglich.

Flächensuche – keine Festlegung von Standorten
Der Regionalverband habe in drei Suchläufen nach einem Katalog mit 166 Kriterien versucht, geeignete Flächen zu finden und Vorranggebiete für Windenergieanlagen auszuweisen, lege aber keine Standorte fest, so Heine weiter. „Wenn die entsprechenden Eigentümer nicht mitspielen, passiert auf diesen Flächen nichts.“
Wie und wo die potenziellen Flächen ausgewählt wurden, erläuterten Heine und seine Stellvertreterin Nadine Kießling in ihren Fachvorträgen. Für die Windpark-Standorte habe man unter anderem Abstände zur bestehenden Bebauung, Naturschutz und Windleistung berücksichtigt. Danach seien die Flächen ausgewählt worden, die eine besonders hohe Eignung und – in den meisten Fällen – Platz für mindestens drei Windräder haben und bei denen möglichst wenig Konflikte zu erwarten sind. Bebaute Flächen sowie Naturschutz- und Wasserschutzgebiete oder auch für die Landesverteidigung oder den zivilen Luftverkehr benötigte Flächen seien ausgeschlossen worden. Eine lokale Überlastung wurde vermieden.
Bei der Suche nach geeigneten Flächen für Windanlagen wurden Mindestabstände von 750 Metern zu Wohngebieten sowie 600 Metern zu Einzelgehöften eingehalten. Nach dem aktuellen Stand der Flächenkulisse Windenergie wurden in allen drei Landkreisen Vorranggebiete für Standorte regionalbedeutsamer Windenergieanlagen in der Größenordnung von rund 8.590 Hektar gefunden, das entspricht rund 2,5 Prozent der Fläche aller drei Landkreise. Allerdings sind die Gebiete ungleich verteilt, da Eignung und Konfliktpotenzial sowie Siedlungsdichte nicht überall gleich sind. So liegen nur 4 Prozent der Vorranggebiete für Windenergie im Bodenseekreis, 37 Prozent im Landkreis Ravensburg und 59 Prozent im Landkreis Sigmaringen. Bei den Vorbehaltsgebieten für Freiflächenphotovoltaik entfallen von den final angestrebten 0,5 bis 0,6 Prozent 18 Prozent auf den Bodenseekreis, 32 Prozent auf den Landkreis Ravensburg sowie 49 Prozent auf den Landkreis Sigmaringen. Der Regionalverband habe bewusst einen Puffer von 2,5 Prozent bei Wind (Vorgabe: 1,8 Prozent) und 0,7 Prozent Solar (Vorgabe: 0,2 Prozent) eingebaut, weil davon auszugehen sei, dass im Zuge des Anhörungsverfahrens noch die eine oder andere Fläche rausfallen werde.
Der Regionalverband ist verpflichtet, beim Erstellen eines Regionalplans abschließend eine strategische Umweltprüfung durchzuführen. Das ist Vorgabe der EU und gilt für Wind und für Solar. So werden für jedes einzelne Gebiet verschiedene Schutzgüter wie Boden, Wasser, Klima / Luft, Flora und Fauna, Kultur- und Sachgüter, Mensch, Gesundheit, Erholung und andere, abgeprüft. Zusätzlich erfolgt eine Natura 2000-Vorabprüfung und es gibt eine artenschutzrechtliche Prüfung sowie eine raumordnerische Gesamtprüfung.

Vorranggebiete Wind im Bodenseekreis
Im Bodenseekreis hat der Regionalverband drei Vorranggebiete in der Größenordnung von rund 300 Hektar ausgemacht. Die Flächen liegen in Betenbrunn bei Heiligenberg, im Hochbühl bei Owingen und am Gehrenberg bei Markdorf.
Das Vorhaben „Betenbrunn“ führe laut Umweltprüfung zu keinen oder nur wenigen erheblichen Beeinträchtigungen von Schutzgütern, Artenschutzbelange seien untergeordneter Bedeutung, so Kießling. Auch für das Natura 2000-Netzwerk würden keine erheblichen Beeinträchtigungen prognostiziert. „Das Gebiet ist bedingt als Vorranggebiet geeignet.“ Gleichlautende Ergebnisse hätten Umwelt- und Natura 2000-Prüfungen für das Gebiet „Hochbühl“ ergeben, es sei „als Vorranggebiet geeignet“ eingestuft worden. In der raumplanerischen Gesamtbewertung als „bedingt als Vorranggebiet geeignet“ eingestuft wurde das Gebiet „Gehrenberg“. Hier seien Artenschutzbelange in starkem Maße beeinträchtigt. Das Vorhaben führe allerdings laut Umweltprüfung zu keinen oder nur zu wenigen erheblichen Beeinträchtigungen von Schutzgütern.

Vorbehaltsgebiete Freiflächenphotovoltaik
In Sachen Photovoltaik befasst sich der Regionalverband nur mit Freiflächenphotovoltaik (FFPV), nicht mit PV-Flächen auf Dächern, Lagerflächen und Parkplätzen. Bei FFPV handle es sich nicht um eine dauerhafte, sondern temporär genehmigte Flächeninanspruchnahme, so Kießling. Der Regionalverband weise unter Berücksichtigung von Eignungs-, Ausschluss- und Konfliktkriterien Vorbehaltsgebiete aus, die – anders als Vorranggebiete – den Gemeinden bewusst mehr Handlungsspielräume belassen. „Gemeinden können Freiflächenphotovoltaik selbst planen, in manchen Fällen ist dies sogar ohne Bauleitplanung möglich.“ Im jetzigen Offenlageentwurf machen die Photovoltaik-Vorbehaltsgebiete 0,7 Prozent der Regionsfläche aus, final angestrebt werden 0,5 bis 0,6 Prozent. Freiflächenphotovoltaik-Anlagen, so Kießling, seien aber auch weiterhin außerhalb der Vorbehaltsgebiete zulässig.
Ein hohes Potenzial gebe es im Bodenseekreis für Agri-PV, eine Kombination aus landwirtschaftlicher Nutzung und Erzeugung von Strom aus Solarenergie. Nach dem rechtskräftigen Regionalplan sei Agri-PV auch an vielen Fällen im Bereich des Bodenseeufers und auf den besten landwirtschaftlichen Flächen möglich. „Agri-PV könnte beispielsweise im Obstanbau als Ersatz für Hagelschutznetze dienen“, so Dr. Kießling. Neu sei, dass Agri-PV-Anlagen in einer Größenordnung bis 2,5 Hektar in Hofnähe privilegiert sind. Kießling verwies auf die Modellanlage in Kressbronn. Die Anlage ist Teil des Projekts Modellregionen Agri-PV BW, bei dem der Regionalverband assoziierter Projektpartner ist. Kießling: „Die ersten Ergebnisse an dieser Anlage sind vielversprechend.“

Sachlicher Dialog und Austausch mit Expertinnen und Experten
In der anschließenden Dialogrunde im Saal, die von den externen Steinbeis-Vertretern Claudia Bollig und Wolfram Dreier moderiert wurde, verschafften sich Befürworter und Gegner in Sachen Wind- und Solarenergie Gehör für ihre unterschiedlichen Sichtweisen. Der Dialog wurde sachlich und auf Augenhöhe geführt. Rege genutzt wurde später auch die Möglichkeit, sich an Informationsständen mit Expertinnen und Experten über Rechtsgrundlagen, Planungsprozesse und Genehmigungsverfahren, Flächenermittlungskriterien, Natur- und Artenschutz sowie Flächenkulissen im Landkreis Bodenseekreis auszutauschen.

INFO: Alle Pläne und Unterlagen sowie eine interaktive Karte, auf der die entsprechenden Flächen leicht zu finden sind, gibt es auf der Website des Regionalverbands unter www.rvbo-energie.de. Dort können Bürgerinnen und Bürger online ab 29. Januar Stellungnahmen einreichen. Die Anhörung läuft bis 29. März.
Weitere Informationen zur Planungsoffensive Wind und Solar der Landesregierung mit Themenlandkarte finden sich auf dem Beteiligungsportal https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de.

Bildnachweis: RVBO/PhotoArt Hund